68-Jähriger entwendete und öffnete die Briefe seiner Nachbarn
Post einfach eingesteckt und gelesen
Er wollte einen glänzenden Eindruck hinterlassen. Doch nun ist Klaus B.* zu spät dran. Der 68-Jährige hatte nicht mit dem weit verzweigten System von Gängen, Treppen und Fluren im Kriminalgericht Moabit gerechnet. Es ist das größte Strafgericht Europas. „Leider habe ich den Saal nicht gleich gefunden“, steht er nun abgehetzt vor der Richterin. Die zeigt auf die Anklagebank und sagt: „Setzen Sie sich.“
Klaus B. muss sich wegen Verletzung des Briefgeheimnisses und Diebstahls verantworten. Er soll sich in 14 Fällen an Post von Nachbarn vergriffen haben. Der Rentner hört die Vorwürfe kopfschüttelnd. „Die meisten der Sendungen standen auf der Briefkastenanlage unseres Hauses“, sagt er. Einige habe er aus Versehen geöffnet.
Das Briefgeheimnis greift grundsätzlich bei allen Schriftstücken, die eindeutig vor fremden Blicken geschützt werden sollen. Das kann also ein zugeklebter Umschlag genauso sein wie das Schlösschen am Tage- oder Notizbuch. Im Gesetz heißt es: „Wer unbefugt einen verschlossenen Brief oder ein anderes verschlossenes Schriftstück, das nicht zu seiner Kenntnis bestimmt ist, öffnet, macht sich strafbar.“ Es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Findet man dagegen eine fremde Postkarte in seinem Briefkasten, dann ist das Lesen nicht strafbar.
Der Angeklagte sagt, er sei kein gemeiner Dieb. Nie habe er sich mit einem Werkzeug an fremden Briefkästen zu schaffen gemacht. „Dass da immer so viele Umschläge auf der Anlage standen, ärgerte mich.“ Manchmal habe er die Sendungen genommen und „nur mal geguckt“. Der Mann aus Hellersdorf sagt, er sei „etwas neugierig“ gewesen.
Den Ermittlungen zufolge soll Klaus B. einige Briefe gestohlen haben. „Auch eine Sendung mit einer EC-Karte“, so die Anklage. Der Witwer, der einst als Verwaltungsangestellter gearbeitet hat und inzwischen Rentner ist, senkt den Kopf. „Ich kann es nicht leugnen“, nuschelt er. In dem Fall habe er einen Nachbarn ärgern wollen. „Wir hatten mehrfach Streit.“ Der Brief sei ihm in die Hand gefallen, als er einen größeren Umschlag aus dem Postkasten des anderen Mieters gezogen habe. „Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hatte – es tut mir jedenfalls sehr leid.“
Eine Nachbarin beobachtete B. dabei, wie er fremde Post aus einem der Kästen zog und in einen Stoffbeutel steckte. Als sie ihn ansprach, meinte er unfreundlich: „Kümmern Sie sich doch um Ihren Kram!“ Die Frau informierte andere Mieter und erstattete Anzeige.
Der Staatsanwalt plädiert nun auf eine Strafe von 25 Tagessätzen zu je 40 Euro. Da seufzt Klaus B. hörbar auf. Die Richterin folgt dem Antrag des Anklägers. 1.000 Euro, weil er fremde Post geöffnet und zum Teil behalten hatte.
Langsam geht Klaus B. aus dem Saal. Nun hat er Zeit und sieht sich in dem monumentalen Barockbau noch etwas um. Als der Justizpalast 1906 eröffnet wurde, war er ein technisches Meisterwerk – in Berlin das erste vollständig elektrifizierte Gebäude. Als einer der ersten Angeklagten musste sich der Schuster Wilhelm Voigt verantworten, der als „Hauptmann von Köpenick“ berühmt wurde.
Kerstin Berg
(*Name von der Red. geändert)
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