Der Sport mit dem Wow-Effekt

Was die Akrobaten vom TuS Hellersdorf drauf haben, ist grandios

Der Sport mit dem Wow-Effekt

Sportakrobatik ist nichts für Angsthasen. Mit scheinbarer Leichtigkeit turnen die Athleten aus den Händen ihres Partners heraus, machen dort Handstände, überschlagen sich in schwindelerregender Höhe, zeigen spektakuläre Hebefiguren, Drehungen, Flickflacks und andere Flugelemente. Zwischendurch werden sie immer wieder aufgefangen. Das ist nicht nur unglaublich schön anzusehen und lässt dem Zuschauer unentwegt den Atem stocken, es erfordert auch Höchstleistungen.

Und weil von nichts bekanntermaßen nichts kommt, trainieren die Sportakrobaten vom TuS Hellersdorf am laufenden Band: Bis zu fünfmal pro Woche arbeitet Chef-Coach André Schatz mit den Besten seiner Abteilung an Technik, Beweglichkeit, Kondition und vielem mehr. So viel Fleiß zahlt sich aus. Kein anderer Klub in der Stadt hat zuletzt mehr Sportler zu Deutschen Meisterschaften geschickt, kein anderer Klub mehr Pokale auf Landesebene abgeräumt. „Wir sind der beste Sportakrobatik-Verein der Stadt“, sagt Schatz, ohne dabei überheblich zu klingen, und fügt hinzu: „Die Entwicklung der letzten Jahre hat uns alle etwas überrascht.“

 

Zurück zur Spitze

Seit Ende der 90er gibt es beim 1988 gegründeten TuS eine Sportakrobatik-Abteilung. Aufgebaut wurde diese einst von Reinhard Tietz, der zu DDR-Zeiten die Frauen-Nationalmannschaft im Turnen trainierte und auch den Hellersdorfer Verein schnell zu Erfolgen führte. „Vor etwa sieben Jahren gab es im Leistungsbereich dann aber einen Einbruch“, erzählt der Vorstandsvorsitzende Dietmar Streso. Tietz ging in Rente und sein „Lehrling“ André Schatz übernahm. Dem heute 44-Jährigen gelang es, den Klub wieder nach vorn zu bringen. Bei dem vom TuS in diesem Jahr ins Leben gerufenen Hauptstadtpokal der Sportakrobatik zeigte sich sogar der Bundestrainer beeindruckt von den Leistungen des Vereins – in sportlicher Hinsicht und als Ausrichter. In der Eilenburger Straße hatten Übungsleiter, Betreuer und viele fleißige Helfer ein Riesen-Event auf die Beine gestellt. 260 Sportler aus 13 verschiedenen Bundesländern präsentierten sich dort teils auf extrem hohem Niveau. Auch der nächste Wettkampf im Frühjahr wird wieder in Hellersdorf ausgerichtet.

 

Ambitionierte Ziele

„Bundesweit in der Sportakrobatik sind wir wieder wer“, freut sich der Vereinsboss und formuliert ein ehrgeiziges Ziel: Bei Deutschen Meisterschaften würde er in den kommenden Jahren gern Titel sehen. André Schatz ist da vorsichtig: „Das ist von so vielen Faktoren abhängig, aber wir arbeiten dran.“ Mit „wir“ ist neben den Sportlern und Übungsleitern auch Choreografin Lisa gemeint. Der kreative Kopf im Trainer-Team sorgt dafür, dass die technischen Elemente in einer künstlerisch anspruchsvollen Kür zusammenfließen und jede einzelne Bewegung zur Musik passt.

Auf die Frage, welche Typen es für die Sportart braucht, antwortet Schatz: „Für den oberen Part suchen wir extrovertierte Kinder, die  Mut zum Risiko haben.“ Wer unten steht, den Partner in die Höhe stemmt und wieder auffängt, müsse vor allem verantwortungsbewusst sein. Egoisten seien hingegen weniger gefragt. Denn Sportakrobatik ist kein Einzelsport. Es gibt Duos und Gruppen. Hier kann man nur als Team funktionieren. Bei Lilli (10) und Emil (14) stimmt die Chemie. Die beiden gehören zu den Vorzeigeathleten des Vereins. Bei den Deutschen Meisterschaften haben sie Bronze geholt.

 

Eins-a-Trainingsbedingungen

Beide trainieren von klein auf beim TuS. Viele spätere Leistungssportler hopsen schon mit fünf oder sechs Jahren über die Matte – in einem der stark nachgefragten Vorschulkurse. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Trainingsgruppen für Kinder und Erwachsene. Mit 200 Mitgliedern ist die Abteilung breit aufgestellt. „Ohne den Freizeit- und Breitensport geht es nicht. Er bildet die Basis dafür, dass sich ein Verein Leistungssport auch finanziell leisten kann“, erläutert André Schatz. Ihre Trainingsstätte haben die Akrobaten am Buckower Ring 70. Die Halle ist vom Verein größtenteils in Eigenregie und mit Spendengeldern für die Abteilung hergerichtet worden. Sprungmatten­, Trampoline, Podeste: Hier gibt es alles, was die Sportler brauchen – sogar einen Federboden und eine Longe, an der besonders gewagte Sprünge und Würfe geübt werden.

 

Ärger um Turnhallen

Während sich die Sportakrobaten über hervorragende Trainingsbedingungen freuen, sorgt sich Dietmar Streso um einige seiner anderen Abteilungen. Ähnlich viel Zeit und Geld wie in die Sporthalle am Buckower Ring 70 hat der TuS Hellersdorf nämlich auch in die zwei Sporthallen am Naumburger Ring 3/5 investiert. Der Sportkomplex ist der Vereinsmittelpunkt. Hier befindet sich die Geschäftsstelle des TuS und hier trainieren Woche für Woche Hunderte Ringer, Volleyballer, Judoka und Taekwondo­-Kämpfer – aber nur noch dieses Jahr. Bis zum 1. Januar 2020 muss der Verein beide Gebäude räumen. Sie werden abgerissen und machen Platz für eine dringend benötigte Grundschule. Als Ausweichquartier hat der Bezirk dem Klub die Schulsporthalle in der Kyritzer Straße 43 angeboten. Problem dabei: Die Halle wurde 2012 bei einem Brand stark beschädigt und wird derzeit saniert. „Weder Sport- noch Bauamt konnten mir bisher sagen, ob wir tatsächlich in die Halle können“, zeigt sich Streso verärgert. Einen Plan B gebe es nicht. „Ich befürchte ernsthaft, dass unsere Sportler Anfang des Jahres auf der Straße sitzen.“ 

Selbst wenn die Sanierung pünktlich abgeschlossen sein sollte, sind damit längst nicht alle Fragen geklärt. Eine lautet: Wohin mit dem ganzen Material? Weil sich der Verein die Halle mit der Ernst-Haeckel-Schule teilen wird, müssen die großen Wettkampfmatten der Ringer und zahlreiche andere Geräte für jedes Training auf- und wieder abgebaut werden. Doch dafür fehlen in der Kyritzer Straße Lagermöglichkeiten. Derzeit lässt das Sportamt an zwei Standorten im Außenbereich die Aufstellung eines Containers prüfen.