Mit der Mühle herzlich vermehlt

Diesmal in unserer Rubrik "Einfach machen": ein Müller namens Wolf

Mit der Mühle herzlich vermehlt

Dieser Teil unserer Serie „Einfach machen“ gilt Jürgen Wolf. Der Tischler und Müller lebt zahlreiche Arbeitsstunden lang in der Marzahner Bockwindmühle, empfängt und unterhält dort Tausende Menschen im Jahr. Er bewahrt und findet Altes, schafft viel Neues­, studiert Geschichte und schreibt Geschichten, begeistert als nachdenklicher Mensch zum Zeitgeschehen, macht, tut und ist praktisch jederzeit für „seine“ Bockwindmühle  da.

Herr Müller, Sie wirken wie verheiratet mit der Mühle.

Sie scherzen! Tatsächlich werde ich oft versehentlich „Herr Müller­“ genannt, damit ist eigentlich mein Berufsstand gemeint. Übrigens (lacht) – Ich heiße Jürgen Wolf, habe die Bockwindmühle Marzahn mit konstruiert und war beim Bau auch handwerklich tätig. Zur Setzung des Bocks 1993 hatte ich mich bereits beim Bezirksamt als angestellter Müller beworben.

 

Wohnen Sie in der Nähe?

Ja! Gleich nebenan, im alten Dorf Marzahn. So bin ich verkehrsunabhängig, zügig und auch mal zu Unzeiten vor Ort und lebe somit auch in der gleichen Wetterzone wie die Mühle. Während eines Orkans habe ich sogar mal in der Mühle übernachtet, um über Schäden sofort informiert zu sein.

 

Wie war Ihr Entwicklungsweg?

Ich komme aus einer traditionsreichen Müllerfamilie. Zu meiner Zeit „saß“ man nicht einfach „herum”. So kam es, dass ich 1973, mit zehn Jahren, in den Ferien beim Großvater in der Wassermühle im Oschatzer­ Land erste Arbeiten übernahm – ich sackte das Getreide ab und fegte die Mühle aus.

 

Sie arbeiteten ohne Murren?

Das ist heute kaum vorstellbar, nicht wahr? Ja, im Mühlenmetier fühlte ich mich schon immer wohl.

 

Schauen wir noch weiter zurück: Wurden Müller früher geachtet?

Sie waren eher unbeliebt. Das variierte­ natürlich über die Zeiten und je nach Landstrich. Müller beherrschten eine Technik, die von Menschen des Mittelalters und später noch von der einfachen Landbevölkerung gerne mal als Hexenwerk verteufelt wurde. Auch wurden sie oft verdächtigt, Mehl abgezweigt und so besonders die hungrigen Mäuler der einfachen Familien benachteiligt zu haben. Und sie wurden beneidet, denn sie galten meistens als reich!

 

Reich ...?

Der Ertrag einer Mühle des späten Mittelalters ist mit dem der heutigen Tankstellen vergleichbar. Die Steuern flossen den jeweiligen Landesherren zu, deshalb durfte nur mit Erlaubnis der Obrigkeit eine Mühle errichtet werden, der dann auch die Kundschaft zugewiesen wurde. Das nannte man „Mahlzwang“.

 

Also auch in Marzahn?

Bis in Marzahn im Jahr 1815 eine Mühle in Betrieb ging, mussten die Bauern bis 1712 zum Mühlendamm – heute Berliner City – fahren und später ihr zentnerschweres Getreide ins vier Kilometer entfernte Ahrensfelde karren. Das war damals eine höchst unbequeme Stock- und Stein-Strecke.

 

So gesehen gelangt man heute in Windeseile nach Alt-Marzahn.

Ja, sogar aus entfernteren Städten wie Oranienburg oder Bernau kommen die Besucher. Aber natürlich ist Berlin unser Haupteinzugsgebiet. Die Ost-West-Achse funktioniert sehr gut. Daher empfingen wir die vielen Gäste aus Zehlendorf, Charlottenburg und Spandau. Doch nur mal nebenbei erwähnt: Die Verbindungen nach Pankow, Karow, Reinickendorf und Buch sind schlecht. Diesbezüglich ist unsere Gegend verkehrlich abgehängt und das hält besonders Schulklassen aus Nord und Süd davon ab, zu uns zu kommen.

 

10.000 Besucher im Jahr sind eine­ stolze Bilanz.

Allein beim letzten Erntefest zählten wir 2.500 Gäste. Bei solchen Anstürmen helfen die Mitglieder unseres Mühlenvereins sehr tatkräftig aus, die sich übrigens über Teamverstärkung freuen. Die Kontaktdaten stehen auf unserer Internetseite ­marzahner-muehle.de.

 

Wofür braucht es den Verein?

Allgemein gesagt, unterstützt der Mühlenverein den Betrieb, die bauliche Erhaltung und Weiterentwicklung der Marzahner Bockwindmühle. Zum Beispiel kam das Reparaturgeld für die Mühlenflügel nach zwei Sturmschäden aus den Spenden an den Verein. Das schonte zugleich die Haushaltskasse des Stadtbezirkes.

 

Der Bezirk gehört zu den wichtigsten Mühlen-Unterstützern.

Und das nicht nur, weil die Mühle dem Bezirk gehört und ich angestellter Müller bei der Wirtschaftsförderung und Touristik bin. Es besteht zum Beispiel eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Standesamt, denn es fanden hier bereits 500 „Vermä(e)hlungen“ statt. Die Art, wie wir das hier auf der Marzahner Mühle aufziehen, mit allem Mehl und Drum und Dran, das ist immer sehr herzlich und traditionsbewusste, tiefsinnige Unterhaltung.

 

Sie sind ein Universalmüller!

Und als solcher auch ernsthaft historisch interessiert: Ich kenne die deutsche Mühlengeschichte und die Geschichte unserer Region.

 

Sie organisieren, netzwerken, überzeugen und setzen eigene Ideen auch noch perfekt um.

Ja, als Müller- und Tischlergeselle habe ich mich weit darüber hinaus entwickelt. Gärtnern gehört dazu und zum Beispiel auch das CAD-Zeichnen sowie Ingenieurwissen.

 

Draußen vor der Mühlentür ist Ihnen auch nichts egal.

Ich entwickelte Projekte wie den Mühlengarten oder die malerische Hochzeitstreppe mit dem Rosen-Portal. Und in der Dorfstraße in Alt-Marzahn suchte ich nach brauchbaren Resten auf dem Gelände der Trillerschen Mühle. Das war die 3. Mühle im Dorf und der unmittelbare Vorgänger der heutigen Bockwindmühle Marzahn. Die Familie Triller baute hier auch sehr erfolgreich innovative Windkraftanlagen. „Gesucht – gefunden!“ heißt nun eine Ausstellung im Heimatmuseum. Sie wird übrigens bis zum 17. Januar verlängert.

 

Herr Wolf, denken  Sie schon an einen nachfolgenden Müller?

Mit 56 bin ich bereits offen für beruflichen Nachwuchs. Interessierte können sich gern melden.

 

Überall heißt es, die Jugend sei heute ganz anders als früher.

Na ja, solche Sätze kennt man seit ungefähr zweitausend Jahren (lacht). Dazu fällt mir aber ein, dass es mich eine Zeit lang beschäftigte, dass Kindergartenkinder die Mühlentreppe versehentlich runterpurzelten, weil sie motorisch ungeübt waren und die einzelnen Stufen nicht zu nehmen wussten. Solche motorischen Probleme und die verbreitete Übergewichtigkeit sehe ich als negative Begleiterscheinungen unserer ansonsten hervorragenden zivilisatorischen Errungenschaften. Ein Teil unserer Mitmenschen ist einfach zu unbeweglich, auch geistig, und überdies meiner Erfahrung nach extrem anspruchsvoll. Andere wiederum bringen sich frühzeitig und engagiert in Zukunftsfragen ein!

 

Was schlussfolgern Sie?

Dass wir den Lebensstandard nicht halten können, wenn wir auf der „Anspruchsberechtigungs-Schiene“ bleiben und die Verachtung der körperlichen und der technischen Arbeit und die Verachtung der Erfindungslust zunehmen. Ich beobachte Verachtung des Arbeitens jeder Art, fehlende Lust auf Verantwortung und eine Überbürokratisierung. Es ist höchste Eisenbahn und allein unsere Sache hierzulande, daran etwas zu ändern.