Der Leiter des Sportmuseums, Wolfgang Turowski, im Porträt
Friedensfahrt hat ihn geprägt
„Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Dieses Zitat von George de Santayana steht an der Wand des Sportmuseums in der Eisenacher Straße.
Wolfgang Turowski (68) hat es zu seinem Leitspruch gemacht. Seit 1991 brennt er für das Museumsprojekt. „Die Hellersdorfer“ hat ihn für die Rubrik „Einfach machen!“ zum
Interview getroffen.
Wolfgang Turowski: Probieren Sie doch bitte die Äpfel!
Die Hellersdorfer: Sind die aus Ihrem Garten?
Wolfgang Turowski: Ja. Bei uns am Kienberg stehen acht verschiedene Obstbäume. Alles in allem macht ein Garten zwar viel Arbeit, aber die Ernte lohnt sich immer noch. Für den Winter haben wir wieder einen kräftigen Rumtopf angesetzt. Der kommt auf den Tisch, wenn die Familie da ist.
Die Hellersdorfer: Wie alt sind Ihre Kinder?
Wolfgang Turowski: Meine Söhne sind 41, 39 und 34. Und die Enkel sind sechs und acht und trinken Obstsaft.
Die Hellersdorfer: Wo sind Sie aufgewachsen?
Wolfgang Turowski: Geboren und aufgewachsen bin ich auf der Insel Usedom, als Ältester von vier Geschwistern. Unser Vater war Neulehrer, er unterrichtete in einem Raum vier Klassen. Das war ein eher schlecht bezahlter Job.
Die Hellersdorfer: Seit 1991 begleiten Sie das Projekt „Sportmuseum“ ehrenamtlich. Das nenne ich heldenhaft!
Wolfgang Turowski: Wissen Sie, Helden sind für mich Menschen, die mit sehr wenig Geld leben und teilweise unverschuldet in die Situation gekommen sind. Das gibt es in Deutschland und genauso auch anderswo. Jedes Jahr, wenn wir Urlaub auf Kreta machen, sehe ich die Servicekräfte von früh bis spät schuften – Respekt!
Die Hellersdorfer: Relativ gesehen, lebten auch Sie nicht nur auf der Sonnenseite.
Wolfgang Turowski: Nach der Wende war ich mehrfach arbeitslos, aber ich wollte mich nicht hängen lassen. Ich stand um 6 Uhr auf, das mache ich heute noch so. Ich stellte Kulturprogramme zusammen – mitunter in plattdeutscher Mundart. Ich spielte zu allen Zeiten auch meine Instrumente: Gitarre, Ukulele, Mundharmonika und Schlagzeug.
Die Hellersdorfer: Und Ihr Herz schlug für den Sport.
Wolfgang Turowski: Ja, als Arbeitsloser engagierte ich mich ehrenamtlich als Geschäftsführer bei der Sport-Arbeitsgemeinschaft des Bezirks – heute Bezirkssportbund –, wo ich immer noch, seit 27 Jahren, ehrenamtlich Geschäftsführer bin. Aber ich möchte noch etwas Wichtiges sagen, bevor wir weiter über mich sprechen: Das Sportmuseum braucht dringend jemanden, der die inhaltliche Arbeit fortsetzt!
Die Hellersdorfer: Sie selbst erhielten nie einen Lohn. Die Nachfolge wird also auch nicht bezahlt?
Wolfgang Turowski: Es gibt Überlegungen, das Museum „professioneller“ aufzuziehen. Dann, schätze ich, wird so ein Job auch bezahlt. Ich persönlich wünsche mir vor allem jemanden mit Beständigkeit. Studenten einzusetzen, halte ich in der Beziehung nicht für sinnvoll. Übrigens: Für eine kleine Aufwandsentschädigung arbeiten im Sportmuseum auch Helfer, besonders bei unseren vielen Veranstaltungen.
Die Hellersdorfer: Sie planen stets eine neue, interessante Veranstaltung. Diesmal sogar mit Egon Krenz!
Wolfgang Turowski: Krenz trat unter anderem auf dem Kirchentag in Dortmund auf. Es gibt Fotos von ihm mit Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Selbst Markus Söder hat bei einer Veranstaltung Notiz von ihm genommen und ihn in seiner Rede positiv erwähnt. Und kürzlich in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen wurde Egon Krenz in den höchsten Tönen gelobt.
Die Hellersdorfer: Hier, im „östlichsten Osten“, will man nicht anecken?
Wolfgang Turowski: Es gab Widerstände. Es wurde gesagt, dass Krenz in öffentlichen Gebäuden des Stadtbezirks nichts zu suchen hätte. Dabei ist er doch unbestritten ein wichtiger Zeitzeuge der Ereignisse im Herbst 1989! Schüler und Studenten würden Geschichte aus erster Hand erfahren.
Die Hellersdorfer: Die Geschichte wird immer von den „Siegern“ geschrieben ...
Wolfgang Turowski: Probleme habe ich auch mit einer geplanten Veranstaltung zum 75. Todestag des Arbeitersportlers, Antifaschisten und Kommunisten Werner Seelenbinder. Das Naziregime ließ ihn 1944 ermorden. Nach dem Krieg wurde dem Ringer aus Berlin in vielen deutschen Städten Ehre zuteil. 2008 wurde er in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Doch in Marzahn-Hellersdorf tut man sich schwer mit der Person Seelenbinder.
Die Hellersdorfer: Herr Turowski, wonach streben Sie – ist es Gerechtigkeit?
Wolfgang Turowski: Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Sportler der DDR in einem realen Licht erscheinen zu lassen und sie mit dem Publikum von hier in Kontakt zu bringen. In unserem Sportmuseum konnten wir schon viele der Ausnahmesportler empfangen.
Zum Beispiel den Marathonläufer Waldemar Czierpinski, den Skispringer Helmut Recknagel, die Kugelstoßerin Ilona Slupianek, die Eiskunstläuferin Christine StüberErrath, den Radrennfahrer Gustav-Adolf „Täve“ Schur oder die Leichtathletin Monika Zehrt. Die Beliebtheit unserer Veranstaltungen gibt mir recht – die Menschen wollen etwas zurückbekommen, was ihnen genommen wurde.
Die Hellersdorfer: Wie meinen Sie das?
Wolfgang Turowski: Zu DDR-Zeiten haben wir uns total über Leistungen und Medaillen gefreut. Nach der Wende standen die meisten DDR-Sportler unter „Generalverdacht“ und das oft völlig zu unrecht. Unsere Idole, deren Erfolg in erster Linie auf Leistung beruhte, waren plötzlich nicht mehr ehrbar.
Die Hellersdorfer: Mitunter wurden die Museumspläne belächelt. Tat das weh?
Wolfgang Turowski: Es hat mich ermutigt weiterzukämpfen. Eine kleine Schau-Vitrine war der Anfang. Heute lagern noch 3.000 Exponate im Depot und können aus Platzgründen gar nicht gezeigt werden.
Die Hellersdorfer: Die Etage in der Eisenacher Straße ist nicht groß genug?
Wolfgang Turowski: In der Etage über uns wurde – leider auch begleitet von akustischen Belästigungen – für andere Einrichtungen viel Geld locker gemacht. Unsere Etage hingegen wurde nur spärlich modernisiert.
Die Hellersdorfer: Mögen Sie Baulärm weniger als Traktorengeräusche?
Wolfgang Turowski: Mit Traktoren und Mähdreschern hatte ich als angehender Agrotechniker zu tun, aber das war irgendwie etwas anderes. Für eine Lehre standen in unserem Dorf übrigens nur zwei Berufe zur Auswahl.
Die Hellersdorfer: Wie kamen Sie nach Berlin?
Wolfgang Turowski: Nach Berlin kam ich als NVA-Soldat und ab 1985 habe ich in Marzahn auf der FDJ- und Parteiebene für den Jugendsport gearbeitet. Nach der Wende 36 hochqualifizierten, für den Sport tätigen Mitarbeitern zu erklären, dass sie nicht mehr gebraucht werden, war für mich die schwerste Aufgabe in meinem Leben. Doch immerhin waren wir die Ersten in Berlin, die diese 36 Leute in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unterbringen konnten.
Die Hellersdorfer: Was haben die ABMler gemacht?
Wolfgang Turowski: Sie kümmerten sich aktiv um den Sport an der Basis, unterstützten das Training in Vereinen oder übernahmen in Kitas die „Bewegungserziehung im Vorschulalter“, wie man damals noch sagte. Als die ABM ausgelaufen waren, fielen die Angebote ersatzlos weg. Es folgten die MAE-Maßnahmen, für die Leute zugewiesen wurden, die für die Sportarbeit in den Vereinen nicht geeignet waren.
Die Hellersdorfer: Haben Sie das mal in der BVV zur Sprache gebracht?
Wolfgang Turowski: Ich war sechs Jahre lang Bürgerdeputierter in der BVV. Als Deputierter kann man Vorschläge einreichen, aber über die Durchsetzung nicht mit entscheiden.
Die Hellersdorfer: Haben Sie Schwierigkeiten mit Personen der Bezirkspolitik?
Wolfgang Turowski: Das ist natürlich ganz unterschiedlich. Mit Frau Köhnke, seinerzeit Stadträtin für Sport, und heute noch als Bezirksverordnete tätig, hatte ich immer ein sehr gutes Verhältnis, obwohl wir auch viel gestritten haben. Um den Aufbau eines Sportmuseums habe ich mit ihr regelrecht gerungen. Sie pflegte mich zu wichtigen Sitzungen einzuladen und zu diesem und jenem Thema um Rat zu bitten. Heute fühle ich mich „nicht mehr existent.“
Die Hellersdorfer: Traurig!
Wolfgang Turowski: Damals während meiner Arbeitslosigkeit hatte ich für den Bezirk auf 100 Seiten einen Sportentwicklungsplan geschrieben, übrigens gegen eine äußerst geringe Aufwandsentschädigung. Ich sehe, dass der Entwicklungsplan weder weitergeschrieben wurde noch mit konkreten Maßnahmen untersetzt ist. Konkrete Maßnahmen, das heißt für mich, W-Fragen zu beantworten: warum, wann, wie, wodurch, mit wem, wie lange.
Die Hellersdorfer: Wenn Sie ein zweites Leben hätten – was würden Sie machen?
Wolfgang Turowski: Wenn es so wäre, würde ich wieder im Sport tätig sein wollen. Meine Begeisterung begann damals mit der Friedensfahrt Prag-Warschau-Berlin. Im Radio ertönte die Friedensfahrt-Fanfare immer fünf nach halb und fünf nach um, und ich beeilte mich stets, um pünktlich zu Hause am Radio zu sein.
Die Hellersdorfer: Welches Sportanliegen ist Ihnen „in diesem Leben“ wichtig?
Wolfgang Turowski: Ich denke immer noch jugendbezogen. Sport heute ist an den Schulen der Unterricht, welcher am häufigsten ausfällt. Aber Breitensport ist die Basis für den Leistungssport, das weiß jedes Kind.
Die Hellersdorfer: Herr Turowski, „Die Hellersdorfer“ wünscht Ihnen viel Erfolg!
Gespräch: Ute Bekeschus