Im Interview: Werner Brose von der Beratungsstelle Vista gGmbH
Kids und Drogen: Reden ist das A und O
Es war das Aufreger-Thema des Sommers: Auf Facebook berichtete Jugendstadtrat Gordon Lemm (SPD), dass unter jungen Teenagern an Marzahn-Hellersdorfer Schulen die Designer-Droge Ecstasy kursiere – und zwar zu Spottpreisen von 1,50 bis drei Euro pro Pille. Zwischen Februar und Mai waren deutlich mehr Familien als üblich wegen Ecstasy in die Vista-Drogen- und Suchtberatungsstelle des Bezirks gekommen. Etwa ein Dutzend Eltern mit ihren zwölf- bis vierzehnjährigen Kindern hatten die Einrichtung in der Allee der Kosmonauten 47 aufgesucht.
Lemm betonte, er wolle keine Panik verbreiten, es handele sich bei den Beobachtungen um „vermehrte Einzelfälle“. An die Öffentlichkeit sei er gegangen, um Eltern auf die Problematik aufmerksam zu machen und sie in die Lage zu versetzen, mit ihren Kindern über Drogen zu sprechen. Aber wie geht man das am besten an? Wir haben dazu Werner Brose befragt, der bei Vista den Fachbereich „Beratung, Therapie und Familienhilfen“ leitet.
Herr Brose, in Berlin kommen Jugendliche offensichtlich immer früher mit Drogen wie Ecstasy und Cannabis in Kontakt. Woran liegt das?
In der Tat ist über die letzten Jahre von verschiedenen Seiten beobachtet und dokumentiert worden, dass Jugendliche insbesondere mit Alkohol und Cannabis früher in Kontakt kommen.
Der Anlass zu den Aktivitäten und Berichten der letzten Wochen lag in der Häufung von Fällen, in denen ungewöhnlich junge Jugendliche wegen Ecstasy-Konsums zu uns in die Beratung kamen.
Positiv festzuhalten ist, dass hier die Jugendlichen und deren Eltern das Richtige getan haben: Sie haben sich um Unterstützung bemüht. Auch der Abstimmungsprozess innerhalb des Bezirks – von Jugendamt, Schule, Polizei und Suchthilfe – hat schnell und gut funktioniert.
Grundsätzlich halte ich es für hilfreich, jenseits der berechtigten Aufmerksamkeit auf diesen besonderen Einzelfall den Umgang mit sogenannten psychoaktiven Substanzen allgemein in den Blick zu nehmen.
Könnten Sie das näher ausführen?
Der Umgang mit Drogen in der Gesellschaft hat sich nach meiner Wahrnehmung sichtbar verändert. Vor 10, 15 Jahren hatten wir in Berlin beispielsweise eine noch nicht so präsente Partykultur. Auch das Bild bezüglich des Konsums im Alltag hat sich verändert. Wer heute durch die Straßen läuft, riecht von früh bis spät an fast jeder Ecke Gras und sieht alle 50 Meter jemanden ganz selbstverständlich mit einer Bierflasche herumlaufen. Das kann man positiv finden oder auch kritisieren. Was man aber bedenken sollte ist, dass das ständige Präsentsein von Substanzkonsum und Rausch möglicherweise auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Bewertung von Heranwachsenden hat.
Was waren Einstiegsgründe der Kinder, die wegen Ecstasy im Frühjahr Ihre Beratung aufgesucht haben?
In den meisten Fällen muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Neugier gepaart mit einem fehlenden Bewusstsein für die Risiken der Droge gehandelt hat.
Wie können Eltern ihre Kinder vor riskantem Konsum schützen?
Der erste und wichtige Teil meiner Antwort hat scheinbar sehr wenig mit dem Drogen-Thema zu tun: Es geht vor allem darum, Zeit mit den Kindern zu verbringen, zu versuchen, mit ihnen in einem guten Kontakt zu bleiben und ihre Fähigkeiten und Interessen so gut wie möglich zu fördern, aber auch klare Regeln zu vereinbaren, Konflikte auszuhalten, selbst eine Vorbildfunktion zum Beispiel bezüglich des Alkoholkonsums wahrzunehmen und vieles mehr.
Und der zweite Teil Ihrer Antwort?
Natürlich ist auch Aufklärung ein wichtiger Baustein. Eltern sollten mit ihren Kindern über Alkohol, andere Drogen und Medienkonsum sowie deren Risiken sprechen. Im Vorfeld ist es empfehlenswert, sich schlauzumachen. Elternabende zu den Themen können hilfreich sein.
Wie beginne ich überhaupt ein Gespräch über Drogen, wenn mein Kind nicht von sich aus auf mich zukommt?
Die Grundlage sollte ein aufrichtiges Interesse an der Sichtweise der Jugendlichen sein. Fragestellungen könnten zum Beispiel sein: Wie denkst du über Drogen und was interessiert dich? Was hältst du von Leuten, die kiffen oder Pillen einwerfen? Was trinkt ihr eigentlich auf Partys? Sind da Bier und Wein am Start oder vielleicht auch harte Sachen? Achtet Ihr aufeinander und wie verhaltet ihr euch, wenn es einem von euch nicht gut geht? Wichtig ist es gleichzeitig auch, das Gespräch alters- und entwicklungsentsprechend zu führen und eigene Haltungen deutlich zu machen.
Aber gerade pubertierende Mädchen und Jungen wollen nicht immer gleich zu Hause erzählen, was in ihren Cliquen so abgeht.
Das stimmt. Eltern dürfen auch nicht erwarten, dass sich ihre Kinder sofort öffnen. Die Kunst ist es, Interesse an ihrem Leben zu zeigen und sich stets darum zu bemühen, einen Gesprächskontakt herzustellen. Wenn ein Kind sich verschließt oder Konflikte nicht lösbar scheinen, können Gespräche mit vertrauten Personen in der Familie oder dem Freundeskreis hilfreich sein. Im weiteren Verlauf kann man sich auch Unterstützung durch Gespräche bei der Erziehungs- und Familienberatung holen.
Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Sohn oder Ihre Tochter total betrunken oder zugedröhnt von einer Party nach Hause kommt?
Erst einmal würde ich sie oder ihn den Rausch ausschlafen lassen und am nächsten Tag das Gespräch suchen. Falls noch nicht geschehen, sollten Eltern und Kinder anschließend gemeinsam Regeln aufstellen und diese auch konsequent verfolgen.
Wo erhalten Eltern Hilfe, deren Kinder nicht nur am Wochenende einen Joint rauchen, sondern ein akutes Drogenproblem haben?
Unabhängig davon, um welche Substanz es geht, ist unsere Drogen- und Suchtberatungsstelle in der Allee der Kosmonauten 47 die richtige Anlaufstelle. Ich bin sehr froh über unser gutes Standing bei den Marzahn-Hellersdorfer Jugendlichen, die offensichtlich weniger Hemmnisse haben, in die Einrichtung zu kommen, als das in anderen Bezirken der Fall ist. Neben Einzelgesprächen für Betroffene und Angehörige bieten wir auch Beratung für Familien an. Das wird inzwischen sehr gut angenommen.
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