Katrin Sass sprach in Marzahn über persönliche Höhenflüge und Krisen
Ein Leben wie aus dem Drehbuch
Sie zählt zu den besten Schauspielerinnen des Landes, aber ihre Karriere verlief alles andere als geradlinig. Mehr als einmal musste Katrin Sass nach großen Erfolgen herbe Rückschläge einstecken. Ihre Lebensgeschichte liest sich wie ein Drehbuch. Einige Auszüge daraus gab die 62-Jährige Anfang Mai im Freizeitforum Marzahn zum Besten. Ganz unverblümt sprach sie über ihre Kindheit, ihren Beruf, den Kampf gegen die Alkoholsucht, über Täuschungen und Enttäuschungen.
Freizeitforum statt Filmpreis
Für die Lesung aus ihrer Autobiografie „Das Glück wird niemals alt“ hatte Sass sogar die Verleihung des Deutschen Filmpreises geschwänzt. „Kein roter Teppich, statt dessen dunkelgraues Linoleum“, witzelt die einstige DEFA-Darstellerin zu Beginn der Veranstaltung, ehe sie ins Publikum fragt: „Finden Sie den roten Teppich toll? Ich sag Ihnen was: alles Lüge! Darum bin ich heute bei Ihnen. Hier ist es ehrlich.“ Und schnell wird klar: Die für ihre offenen Worte bekannte Wahlberlinerin wird auch an diesem Abend kein Blatt vor den Mund nehmen.
Vom „Stöpseln“ zum Schauspiel
Die Zuschauer erfahren, dass Katrin Sass schon als kleines Mädchen genau weiß, dass es mal Schauspielerin werden will – wie ihre Mutter Marga Heiden. Die ist an der Plattdeutschen Bühne Schwerin engagiert und nimmt ihre Tochter regelmäßig zu den Proben und Aufführungen mit. „Es roch die Schminke, die alten Kostüme, die Kulissen – das war meine Welt.“ Um Schauspiel studieren zu können, quält sich Katrin Sass bis zur zehnten Klasse und macht anschließend beim Fernmeldeamt eine Ausbildung zur – wie sie sagt – „Stöpslerin“. Erfolglos bewirbt sie sich an der Ost-Berliner Schauspielschule. „Da sagte mir ein lieber Kollege: Gehste nach Rostock, da nehmen die jeden. Und er hatte recht.“
Auszeichnung vom Klassenfeind
In Fächern wie Marxismus-Leninismus, Russisch und Politische Ökonomie ist die Schwerinerin eine Niete. Ihr schauspielerisches Talent aber bleibt nicht lange verborgen. Regisseur Heiner Carow gibt der damals 23-Jährigen die Hauptrolle in seinem Ehedrama „Bis daß der Tod euch scheidet “ (1979). Und plötzlich kennt ein Millionenpublikum ihr Gesicht. Als Katrin Sass 1982 für die eindringliche Darstellung einer alleinerziehenden Mutter in dem Film „Bürgschaft für ein Jahr“ bei der Berlinale in West-Berlin mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet wird, ist sie im siebten Himmel, doch der Preis vom Klassenfeind entpuppt sich mehr als Fluch denn als Segen. Zwei Jahre lang bleiben die Jobangebote von der DEFA aus.
Absturz nach jahrelanger Alkoholsucht
Ein wenig enttäuscht spielt sie weiter Theater in Halle und Leipzig – aber wie! Katrin Sass beeindruckt durch ihre intensiven und zugleich natürlichen Darstellungen. Ende der 80er klopft auch die DEFA wieder an. Dann kommt die Wende. Für Sass ist es eine Befreiung. Sie schmeißt beim Theater in Leipzig hin und freut sich auf den freien Markt. Aber wieder Ernüchterung: Im Westen ist sie weitgehend unbekannt und muss zunächst von Arbeitslosengeld leben. Peu à peu kämpft sie sich zurück ins Geschäft. In der Rolle der „Polizeiruf 110“-Kommissarin Tanja Voigt wird sie einem breiten Publikum bekannt. Doch Katrin Sass trinkt schon seit jungen Jahren und plötzlich wird der Alkohol übermächtig. „Es war nicht mehr zu verheimlichen, dass in meiner Flasche nicht nur Orangensaft war“, berichtet sie dem Marzahner Publikum. Nach einem heftigen Absturz beendet der ORB 1997 die Zusammenarbeit mit der Ausnahme-Schauspielerin. Die schafft es, sich aus der Sucht zu befreien. Ihr Glaube, symbolisiert durch ein kleines Holzkreuz, das sie nach dem Rausschmiss beim Polizeiruf vor einer Backsteinkirche in Wustrow gekauft hatte, hilft ihr dabei.
Wieder gut im Geschäft
Heute spricht Katrin Sass ganz offen über die dunklen Kapitel ihrer Biografie. Sie sagt rückblickend: „Wer nicht unten war, kann das da oben nicht genießen. Unsere Seele muss ja wachsen.“ Längst ist die Schauspielerin wieder gut im Geschäft. Den Weg ebnete ihr Regisseur Michael Klier, der sich 2001 traute, die Hauptrolle in „Heidi M.“ mit der als Trinkerin verschrienen Mimin zu besetzen. Sass lieferte und erhielt den Deutschen Filmpreis. Später feierte sie mit „Good Bye, Lenin“ (2003) einen überwältigenden Erfolg – ebenso mit dem von Kritikern hochgelobten Mehrteiler „Weissensee“. Darin verkörperte die in Köpenick lebende Schauspielerin drei Staffeln lang eine systemkritische Liedermacherin, die sich gezwungen sieht, mit der Stasi zusammenzuarbeiten. Sass selbst war im echten Leben von ihrer besten Freundin Sabine bespitzelt worden, erzählt sie im Freizeitforum Marzahn.
Ihre Vorliebe für komplexe und schwierige Charaktere hat sie sich bis heute bewahrt. Das Naivchen ohne Ecken und Kanten würde man der Schauspielerin ohnehin nicht mehr abnehmen. Seit 2014 etwa ist sie das Gesicht der „Usedom-Krimis“, für die sie regelmäßig in die Rolle einer taffen Ex-Staatsanwältin mit dunkler Vergangenheit schlüpft.
Foto: Künstlerhafen