Gregor Gysi will das Alter genießen

"Ich weiß bloß nicht, wann es beginnt", gestand er beim Plausch im FFM

Gregor Gysi will das Alter genießen

Marzahn-Hellerdorf: Als ostdeutscher Anwalt verteidigte er DDR-Dissidenten, nach dem Mauerfall machte er als Politiker Karriere. Er war Vorsitzender der PDS und hob später mit Oskar Lafontaine die Linkspartei aus der Taufe. Inzwischen ist Gregor Gysi, der bekanntlich in den 90er Jahren seinen Wahlkreis in Hellersdorf hatte, Chef der Europäischen Linken und 70 Jahre alt. 

Am Abend vor seinem Geburtstag kam er bestens aufgelegt ins Freizeitforum Marzahn, um dort seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ vorzustellen. Einmal mehr wurde an dem Abend deutlich: Es macht einfach Spaß, dem Mann zuzuhören – ob man seine Ansichten teilt oder nicht. Fast schon legendär sind Gysis einstige Wortgefechte mit dem langjährigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert.

 

CURRYWURST STATT BULETTE

Im Plausch mit Moderator Hans-Dieter Schütt riss der Linken-Politiker anekdotenhaft zahlreiche Themen an. Zum Einstieg stellte er sich den Entweder-oder-Fragen seines Gesprächspartners. Dabei erfuhr das Publikum von Gysi, dass ihm Currywurst besser als Bulette schmeckt, er im Fußballstadion Union die Daumen drückt – und nicht etwa Hertha oder dem BFC – und dass er lieber am Müggelsee in seinem Wahlkreis Köpenick verweilt, als zum Wannsee zu fahren. Außerdem sprach der schlagfertige Rhetoriker über seine Liebe zum Konjunktiv und verriet, warum er bislang nicht der Einladung von Günther Jauch zu „Wer wird Millionär“ gefolgt sei: „Weil ich Angst habe, dass ich mich bis auf die Knochen blamiere.“

 

SIEBTES LEBEN MUSS WARTEN

Sein bewegtes Leben unterteilt Gregor Gysi in sechs Kapitel. Dazu gehören seine Kindheit und Jugend, die Studienzeit, sein Dasein als einer von nur 600 Rechtsanwälten in der gesamten DDR, die Umbruchphase der Wende und seine Zeit als Politiker in der Bundesrepublik. Dort wurde er zunächst wie wohl kaum kein anderer von einem Großteil der Öffentlichkeit geschmäht und beschimpft. Nachdem er sehr viel, aber letzten Endes erfolgreich um politische Anerkennung und Akzeptanz kämpfen musste, begann für ihn das sechste Leben. 

Jetzt wartet nur noch das Alter. Darauf freue er sich, so Gysi. „Ich weiß bloß nicht, wann es beginnt.“ Aktuell ist der gelernte Rinderzüchter jedenfalls noch voll im Turbo-Modus und sein Terminkalender bereits Anfang des Jahres pickepackevoll voll. 

 

DIE KUNST, AUFHÖREN KÖNNEN ZU SIEGEN

Gegen Ende der Veranstaltung im Freizeitforum erklärte Gysi, was denn schief gelaufen sei bei der Wiedervereinigung Deutschlands. „Der Westen war politisch stärker, demokratischer, freiheitlicher, wirtschaftlich viel effizienter. Es gab ein ganz anderes Waren- und Dienstleistungsangebot, aber er konnte nicht aufhören zu siegen.“ Wären nur einige Sachen übernommen worden, die in der DDR gut funktionierten, hätten auch die Menschen in den alten Bundesländern Vorteile von der Wiedervereinigung gehabt – und das Selbstbewusstsein der Ossis wäre angestiegen. „Dann würden in Ostdeutschland übrigens heute auch weniger Menschen AfD wählen“, ist sich der Linken-Politiker sicher. Exemplarisch zählte Gysi das flächendeckende Netz an Kindertagesstätten, die Polikliniken, die Nachmittagsbetreuung in den Schulen und die Berufsausbildung mit Abitur auf. Seine Ausführungen brachten den 70-Jährigen schließlich dazu, noch einen Beziehungstipp an die Leute im Publikum zu richten:  Meine sehr verehrten Herren, wenn Sie Ihre Frau zum dritten Mal besiegt haben, bitte nicht noch ein viertes Mal.“ Dann könne man gleich zum Anwalt gehen. „Und damit das auch klar ist: Ich mache keine Scheidungen mehr“, witzelte Gysi.