Wolgadeutscher rabottet an Marzahner Schule

Aus unserer Rubrik "Stille Helden": Werkstattmeister Vitalij Gomer

Wolgadeutscher rabottet an Schule

Bei der Redaktionsarbeit für „Die Hellersdorfer“ fallen uns manchmal Menschen auf, die großartige Arbeit leisten, aber nie im Rampenlicht stehen. Auf die Leistungen machen uns andere aufmerksam. Die Interviews verlaufen meistens schleppend, denn ein „stiller Held“ wie hier Vitalij Gomer beherrscht den Umgang mit Säge, Beil und Hobel, jedoch das Zubehör zur Selbstdarstellung fehlt im Werkzeugkasten.

Über ihn sagt Steffi Märker, Vorsitzende des Vereins Kids & Co.: „Vitalij ist fast 70 und könnte längst in Rente gehen. Aber er ist mit so viel Freude in seinem Beruf. Ihm gefällt nicht nur die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern. Er ist einfach glücklich, wenn er anderen helfen kann, dem Lehrpersonal zum Beispiel oder dem Hausmeister. Er sagt und denkt nie: ,Das ist doch nicht meine Aufgabe!‘ Er packt zu und ist als gute Seele an der Gretel-Bergmann-Schule kaum noch wegzudenken.“

 

Vitalij Gomer ist ein erstklassiger Handwerker und arbeitet als Werkstattmeister an der Gretel-Bergmann-Schule. Er hilft dem Hausmeister bei Reparaturen und den Lehrern bei der Unterrichtsvorbereitung. Das alles macht der 69-Jährige – delegiert vom Verein Kids & Co. – seit 2003 in jedem Schuljahr.

Vitalij gibt den Schülern Sicherheit, wenn er ihnen bei der Nutzung von Kreissäge, Bandsäge und Schleifgerät zur Seite steht. Wobei der Lehrer die Aufsicht behält. Er organisiert auch Arbeitsgemeinschaften, in denen die Kinder nach dem Unterricht ihre Basteleien mit Holz fortsetzen können. Und Vitalij packt an, wann immer er sieht, dass Hilfe gebraucht wird. „Seitdem ich einmal einem Lehrer das Kopieren von Praktikumsheften abgenommen habe, mache ich das für alle. Die Lehrer haben so viel zu tun und so wenig Zeit, warum soll ich ihnen nicht mit solchen kleinen Hilfsaufgaben unter die Arme greifen?“

 

Aus der Bitte einer Lehrerin, ihr einen Karteikasten zu bauen, entstand der Auftrag für 300 weitere. Auch dem Hausmeister steht Vitalij wie selbstverständlich zur Seite. „Wie soll denn ein einziger Mann sonst all die Arbeit schaffen, die an einer so großen Schule täglich anfällt?“

Pflichtbewusstsein und eine gewisse, vergleichsweise aber milde Strenge verwundern nicht bei einem Fähnrich der Sowjetischen Streitkräfte. Vitalij Gomer, Jahrgang 1948, hat fast zweieinhalb Jahrzehnte lang in Kasachstan gedient. Er war bereits pensioniert, als er und seine russische Frau sich entschlossen, im Jahr 2002 nach Deutschland auszuwandern. Seine Vorfahren waren Wolgadeutsche.

 

Bei seinen Eltern und Großeltern wuchs Vitalij in Sibirien bei Nowosibirsk mit der deutschen Sprache auf. Russisch war selbstverständlich, doch die kasachische Sprache blieb ihm fremd. Nach Deutschland nahmen er und seine Frau Ludmilla nur das jüngste, noch schulpflichtige Kind mit; die beiden älteren waren bereits erwachsen und blieben mit ihren Familien in Kasachstan und Russland.

Die Tochter wurde in der Thüringenschule eingeschult, die später mit der Bettelmannschule zur Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule zusammengelegt werden sollte. Vater Vitalij brachte sich zunächst ehrenamtlich ein, startete nur ein Jahr später hier seine neue berufliche Karriere und blieb.

 

Besondere Freude bereitet es Vitalij, wenn er Schülerreisen begleitet. Die Gretel-Bergmann-Schule pflegt seit langem internationale Kontakte. Vitalij fährt mit den Schülern nach Italien, Lettland oder auch nach Russland, zum Beispiel nach Wolgograd oder ans Schwarze Meer. Dabei ist er Fahrer, Betreuer und in Russland auch Übersetzer. Stolz berichtet er dann davon, was die Schüler alles gelernt und erlebt haben.

 

Jörn Jürschik