Auf und neben dem Eis ist die Sportlerin nicht kleinzukriegen
Claudia Pechstein, die ewige Kämpferin
Diese Frau hat Sportgeschichte geschrieben. Für die Fertigstellung des letzten Kapitels aber nimmt sich Claudia Pechstein noch Zeit. Wenn ihr Körper es zulässt, will die hoch dekorierte Eisschnellläuferin 2022 an ihren dann achten olympischen Winterspielen teilnehmen. Sollte es ihr tatsächlich gelingen, den Naturgesetzen weitere vier Jahre zu trotzen, würde sie während der Wettkämpfe in Peking ihren 50. Geburtstag feiern.
Wer Pechstein kennt, der weiß, sie meint es ernst und lässt sich auch nicht von den vielen mehr oder weniger gut gemeinten Rücktrittsempfehlungen ins Wanken bringen. „Ich allein entscheide, wann ich aufhöre. Keine Medienvertreter oder irgendwer anders“, stellt die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin aller Zeiten klar.
Liebe und Wut sind ihr Antrieb
Angetrieben wird sie von ihrer Liebe zum Sport, dem unbändigen Willen, besser zu sein als die Konkurrenz, und von einer gehörigen Portion Wut. Wut auf den Internationalen Eislaufverband ISU, der die Ausnahme-Athletin 2009 wegen angeblichen Dopings für zwei Jahre sperrte. Für Pechstein brach damals eine Welt zusammen. Zwar konnten Experten nachweisen, dass die schwankenden Werte auf eine von ihrem Vater geerbte Blutanomalie zurückzuführen sind, doch alle Versuche der Eisschnellläuferin, gegen die Sperre vorzugehen, blieben erfolglos. Seit fast einem Jahrzehnt bemüht sie sich juristisch um Rehabilitation und Schadenersatz. Mittlerweile liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht. „Dieser Kampf wird sehr wahrscheinlich länger gehen als meine Karriere“, vermutet Pechstein.
Als „Eislauf-Oma“ noch Weltspitze
Längst schon hätte sie ihre Schlittschuhe an den Nagel gehängt, davon ist die Berlinerin heute überzeugt, wäre sie wegen der Dopingsperre nicht um die Teilnahme an den Winterspielen 2010 in Vancouver und um ihr zehntes olympisches Edelmetall gebracht worden. Doch nun will sie es vor allem den Bossen des Weltverbands zeigen, die 2009 behaupteten, derartige Topleistungen, wie sie Pechstein mit Mitte 30 erbrachte, seien ohne Manipulation nicht möglich. Jetzt ist die selbsternannte „Eislauf-Oma“ Mitte 40 und gehört in ihrer Sportart noch immer zur internationalen Spitze. Vergangenen Winter fuhr sie sensationell zwei Weltcupsiege ein. Ihre Bilanz liest sich beeindruckend: Mit 53 Podestplätzen bei Welt- und Europameisterschaften, 33 deutschen Meistertiteln und neun olympischen Medaillen reichen Pechsteins Erfolge für mehrere Sportlerleben.
Sichtung schon in Kaulsdorfer Kita
Aufgewachsen ist Claudia Pechstein – bevor die Familie nach Marzahn zog – in einem Zweifamilienhaus mit Garten in Mahlsdorf an der Hönower Straße. „Dort konnten wir ohne Ende toben“, erinnert sie sich. Doch das Energiebündel war nicht müde zu bekommen. „Meine Mutter wusste nicht mehr, was sie mit mir noch anstellen sollte. Wir waren sogar bei Ärzten. Ich wollte einfach nicht schlafen.“ Dann gab es in ihrem Kindergarten in der Kaulsdorfer Landréstraße ein Sichtungstraining. Mit gerade mal dreieinhalb Jahren kam Claudia Pechstein zum Eiskunstlauf. „Das hat einige Zeit Spaß gemacht, aber der Ballettunterricht war nicht so meins.“ Beim Paarlaufen sich von einem fremden Jungen durch die Luft wirbeln zu lassen, darauf hatte der kleine Eisfloh mit neun Jahren auch keine Lust und so ging es im Sportforum Hohenschönhausen eine Halle weiter zu den Eisschnellläufern. Lange ließen die ersten Wettkampfsiege nicht auf sich warten und peu à peu entwickelte Claudia Pechstein ihren schier unstillbaren Erfolgshunger, der sie bis heute auszeichnet. „Mein Traum war es schon damals, eines Tages Olympiasiegerin zu werden.“ Und der erfüllte sich 1994 bei den Winterspielen in Lillehammer. Auf ihrer Paradestrecke, den 5.000 Metern, holte die damals 21-Jährige erstmals olympisches Gold. Zwei Jahre zuvor hatte es bei ihrem Olympia-Debüt in Albertville bereits für Bronze gereicht. Der Rest ist Geschichte.
Nach der Karriere ins Trainerfach?
Um ihre Rennen weiterhin auf ganz hohem Niveau bestreiten zu können, schindet Claudia Pechstein ihren Körper tagein tagaus. Saisonstart ist Mitte Oktober, Anfang November werden bei den Deutschen Meisterschaften die ersten Titel vergeben. Da will sie topfit sein. Jetzt im Sommer verbringt die Wintersportlerin mit ihren Inline-Skates viel Zeit auf der Rollbahn. Und sie gesteht, dass die Ruhezeiten beim Training inzwischen einen größeren Raum als früher einnehmen. „Ich merke schon, dass die Regenerationsfähigkeit meines Körpers abnimmt“, so die 46-Jährige.
Entspannter lässt es Deutschlands beste Eisschnellläuferin auch angehen, wenn mal keine Sporteinheit auf dem Plan steht. „Dann bin ich gern mal zu Hause und tue gar nichts oder verbringe die Zeit mit meiner Familie.“ Nach ihrer aktiven Karriere kann sich Pechstein, deren Arbeitgeber die Bundespolizei ist, vorstellen, ihre Erfahrung auf dem Eis als Trainerin weiterzugeben.